Beeinträchtigen Schmerzmittel das Muskelwachstum?
Ich spreche von der Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmer – Sie wissen schon, diese Schmerztabletten, die Sie in jeder Apotheke in rauen Mengen finden können.
Es gibt dutzende von Marken und Wirkstoffen, aus denen Sie wählen können: Aspirin, Ibuprofen, Diclofenac, usw. Und es ist nicht schwer, an diese Medikamente heran zu kommen. Die meisten können ohne ärztliches Rezept und sogar ohne mahnende Worte des Apothekers erworben werden.
Nichtsteroidale Entzündungshemmer haben sich zu einem integralen Bestandteil des täglichen Trainingsprogramms vieler Kraftsportler entwickelt. In den meisten Fällen werden sie verwendet, um die Auswirkungen eines verzögert einsetzenden Muskelkaters zu lindern, der manchmal über mehrere Tage nach einer intensiven Trainingseinheit anhalten kann.
Oberflächlich gesehen scheint die Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmer zur Reduzierung eines verzögert einsetzenden Muskelkaters sinnvoll zu erscheinen – schlucken Sie einfach ein paar Pillen und Ihr Muskelkater verschwindet auf wundersame Weise. Keine verpassten Trainingseinheiten, keine Reduzierung der Leistungsfähigkeit. Wo liegt das Problem?
Nun, schauen wir etwas tiefer. Auch wenn wird die exakten Mechanismen noch nicht vollständig verstehen, glaubt man, dass ein verzögert einsetzender Muskelkater das Produkt einer Beschädigung des Muskelgewebes ist.
Das vorgeschlagene Modell sieht in etwa so aus: Kräfte, die mit muskularen Kontraktionen – insbesondere exzentrische Aktionen – in Verbindung stehen, verursachen die Entstehung kleiner Mikrorisse in den kontraktilen Elementen und der Oberflächenmembran (Sarkolemma) der arbeitenden Muskelfasern.
Diese Mikrorisse erlauben einen Abfluss von Kalzium aus den Muskeln, wodurch das intrazellulare Gleichgewicht gestört wird, was weitere Verletzungen der Muskelfasern hervorruft.
Unterschiedliche Proteine interagieren dann mit den freien Nervenenden, die die beschädigten Fasern umgeben, was in lokalen Schmerzen und einer lokalen Steifheit resultiert. Diese Symptome können durch Schwellungen innerhalb der Muskelfasern verschlimmert werden, welche Druck auf sensorische Rezeptoren (Schmerzrezeptoren) ausüben und hierdurch den Schmerz verstärken (6).
Man glaubt, dass nichtsteroidale Entzündungshemmer den Schmerz primär durch eine Hemmung der Cyclooxygenasen (COX) – eine Familie von Enzymen, die die Umwandlung von Arachidonsäure in entzündungsfördernde Prostanoide katalysiert – reduzieren (5, 22).
Es konnte gezeigt werden, dass Prostanoide – zumindest teilweise – für den Schmerz, der mit einem verzögert einsetzenden Muskelkater einhergeht, verantwortlich sind. Studien haben gezeigt, dass sie Entzündungen fördern und die Schmerzrezeptoren empfindlicher machen, wodurch die Schmerzempfindlichkeit zunimmt (16).
Durch eine Hemmung der Synthese von Prostanoiden können nichtsteroidale Entzündungshemmer die empfundenen Schmerzen nach dem Training spürbar reduzieren und es Ihnen hierdurch ermöglichen tagein tagaus hart und schwer zu trainieren. Und dies sollte zu besseren Zuwächsen an Muskelmasse und Kraft führen, richtig?
Vielleicht nicht.
Der akute Entzündungsprozess nach dem Training scheint bei den muskulären Adaptionen an ein Widerstandstraining eine Rolle zu spielen. Insbesondere von Prostanoiden konnte gezeigt werden, dass sie bei der anabolen Signalübertragung eine Rolle spielen. Sie sind bei den stimulierenden Pfadwegen involviert, die für die Ausführung der Proteinsynthese verantwortlich sind (13, 18).
Wenn man bedenkt, dass nichtsteroidale Entzündungshemmer die Produktion von Prostanoiden beeinträchtigt, erscheint es logisch, dass diese Medikamente auch eine negative Auswirkung auf die Muskelentwicklung haben könnten. In der Tat zeigten frühe Untersuchungen, dass dies der Fall ist.
Mit Nagetieren durchgeführte Untersuchungen haben konsistent gezeigt, dass nichtsteroidale Entzündungshemmer den Proteinstoffwechsel beeinträchtigen (13, 18, 21) und die Muskelentwicklung in Reaktion auf eine Muskelüberlastung reduzieren (3, 21).
Es wurden sowohl bei der Verwendung von selektiven, als auch nichtselektiven nichtsteroidalen Entzündungshemmern verheerende Auswirkungen auf die Muskeladaptionen beobachtet, die eine Reduzierung der Hypertrophie um bis zu 50% zur Folge hatten (19). Mit anderen Worten ausgedrückt wurde das Muskelwachstum nach einer Verabreichung von nichtsteroidalen Entzündungshemmern halbiert!
Verwirrende Resultate bei Menschen
Die Studien mit Ratten und Mäusen scheinen sehr überzeugend zu sein. Aber was ist mit Menschen? Nun, eine frühe Humanstudie schien diese Resultate zu bestätigen.
Ein Forscherteam unter Leitung von Dr. Todd Trappe fand im Jahr 2002 heraus, dass nichtselektive nichtsteroidale Entzündungshemmer, die nach einer Trainingseinheit mit supramaximalem exzentrischen Training eingenommen wurden, die Proteinsynthese um 50 bis 75% reduzierten. Dies schien der letzte Nagel im Sarg für nichtsteroidale Entzündungshemmer zu sein. Alle Hinweise deuteten darauf hin, dass diese Medikamente die Muskelentwicklung beeinträchtigen.
Doch es geschah etwas Interessantes. Mit Menschen durchgeführte Folgeuntersuchungen konnten die initialen Resultate bei Menschen nicht reproduzieren. Studien, die sowohl mit jungen, als auch älteren Probanden, die selektive und nichtselektive COX Hemmer einnahmen, zeigten keine Unterschiede bezüglich der Proteinsynthese (4, 11, 15).
Wenn diese Resultate noch nicht verwirrend genug sind, sollten Sie sich einige aktuelle Studien ansehen, die die Langzeitauswirkungen einer Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmer auf das Muskelwachstum bei Menschen untersuchten. Keine dieser Studien konnte irgendwelche negativen Auswirkungen auf die Muskelhypertrophie finden (8, 14, 20).
In der Tat konnte eine dieser Studien sogar zeigen, dass nichtsteroidale Entzündungshemmer die Muskelhypertrophie sogar um etwa 50% steigerte (20). Ja, Sie haben richtig gehört – die Gruppe, die Schmerzmittel einnahm, steigerte Ihre Muskelzuwächse deutlich!
Welche Erklärungen gibt es für diese Widersprüche?
Wenn man sich die Untersuchungen ansieht, dann scheint es so, als ob nichtsteroidale Entzündungshemmer bei kleinen Nagern stark katabol sind, aber nicht bei Menschen. Sie könnten sogar vermuten, dass eine regelmäßige Einnahme leistungssteigernde Wirkungen besitzen könnte. Unter Berücksichtigung der erwähnten Studien scheint dies logisch zu sein, richtig?
Nicht so schnell. Es muss eine ganze Reihe von Faktoren berücksichtigt werden, bevor relevante Schlussfolgerungen zum Thema gezogen werden können.
Als erstes müssen diese Studie zur Proteinsynthese, so interessant sie auch sein mögen, im richtigen Kontext betrachtet werden. Akute Studien bezüglich anaboler Prozesse bei Menschen korrelieren nicht notwendigerweise mit einer langfristigen Hypertrophie.
Nur weil die Proteinsynthese oder Signalfaktoren nach dem Training erhöht sind, bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass dies in größeren Zuwächsen an Muskelmasse über einen Zeitraum von Wochen oder Monaten resultiert (1).
Ein anderes potentielles Problem mit der augenblicklichen Studienlage besteht darin, dass alle bis zum augenblicklichen Zeitpunkt durchgeführten Studien mit untrainierten Probanden durchgeführt wurden. Sie müssen kein Raketenwissenschaftler sein, um zu erkennen, dass sich die Adaptionen bei Menschen ohne Trainingserfahrung und Menschen, die regelmäßig mit Gewichten trainieren, unterscheiden. Wären die Resultate bei einer Gruppe ernsthafter Kraftsportler anders ausgefallen? Gut möglich.
Darüber hinaus wurden zwei der drei Studien, die die Hypertrophie untersucht haben, mit älteren Probanden durchgeführt. In der Tat lag das Alter der Probanden bei der Studie, die signifikante Hypertrophie Vorzüge bei einer Verwendung nichtsteroidaler Entzündungshemmer beobachtete, zwischen 60 und 85 Jahren.
Hier ist problematisch, dass ältere Menschen – und insbesondere ältere Menschen, die nicht regelmäßig trainieren – anfällig für unterschwellige Entzündungen sind. Im Gegensatz zu akuten entzündlichen Prozessen nach dem Training, besitzen chronische Entzündungen verheerende Auswirkungen auf die Muskelentwicklung, beeinträchtigen den Anabolismus und beschleunigen einen Muskelproteinabbau (17).
Es ist deshalb gut möglich – wenn nicht sogar wahrscheinlich – dass nichtsteroidale Entzündungshemmer dabei geholfen haben könnten, bei diesen Probanden unterschwellige Entzündungen zu reduzieren und hierdurch die positiven Auswirkungen auf ein Muskelwachstum gefördert haben. Dies ist für gesunde, junge trainierende irrelevant, da unterschwellige Entzündungen für diese Menschen kein Thema sind.
Die Satelliten Verbindung
Wenn Sie es mit dem Krafttraining Ernst nehmen, dann besteht das größte Dilemma bei einer Verwendung nichtsteroidaler Entzündungshemmer in deren potentiellen negativen Auswirkungen auf die Satellitenzellen.
Einfach ausgedrückt sind Satellitenzellen Muskelstammzellen, die sich neben den Muskelfasern befinden. Diese nichtspezialisierten Zellen ruhen, bis sie für Reparatur oder Regeneration der Muskeln benötigt werden, wie dies nach einem Widerstandstraining der Fall ist.
Eine der wichtigsten Rollen von Satellitenzellen besteht in ihrer Fähigkeit, die Anzahl der Zellkerne im Muskel zu erhöhen, welche für die Herstellung von Proteinen verantwortlich sind, die für ein Muskelwachstum benötigt werden.
Während normaler täglicher Aktivitäten ist die Anzahl der Zellkerne in den Muskeln ausreichend, um eine Remodellierung des Muskelgewebes auszuführen. Dies ist nicht länger der Fall wenn Sie ein intensives Training mit Gewichten ausführen.
Schweres Training erhöht den Bedarf für eine Proteinsynthese substantiell. An dieser Stelle kommen die Satellitenzellen ins Spiel. Muskelkontraktionen aktivieren Satellitenzellen, welche sich dann teilen, ausbilden (spezialisierter werden) und mit den arbeitenden Muskelfasern verschmelzen, wobei sie ihren Zellkern spenden, so dass der Muskel mehr Protein herstellen kann, um ein kontinuierliches Wachstum zu unterstützen.
Die aktuelle Theorie geht davon aus, dass ohne konsistenten verfügbaren Vorrat an Satellitenzellen die Muskelhypertrophie letztendlich zum Stillstand kommt (1).
Doch was hat all dies mit nichtsteroidalen Entzündungshemmern zu tun?
Nun, erinnern Sie sich daran, dass nichtsteroidale Entzündungshemmer ihre Wirkungen durch das Blockieren der Synthese unterschiedlicher Prostanoide entfalten. Es ist jedoch bekannt, dass Prostanoide die Teilung, Ausbildung und Fusion von Satellitenzellen anregen (2).
Und (einen Trommelwirbel bitte) mit sowohl Tieren, als auch Menschen durchgeführte Studien haben wiederholt eine signifikante Reduzierung der Satell itenzellaktivität beobachtet, wenn nichtsteroidale Entzündungshemmer in Reaktion auf Muskelbeschädigungen verabreicht wurden (2, 3, 9, 10).
Dies eröffnet die Möglichkeit, dass nichtsteroidale Entzündungshemmer, auch wenn sie die Hypertrophie kurzfristig unter Umständen nicht beeinträchtigen, auf das langfristige Muskelwachstum verheerende Auswirkungen besitzen könnten.
Das Fazit bezüglich einer Verwendung nichtsteroidaler Entzündungshemmer
Basierend auf den augenblicklich verfügbaren Untersuchungen scheint es klar zu sein, dass die gelegentliche Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmer Ihre Trainingsanstrengungen nicht aus der Bahn werfen wird. Was eine chronische Einnahme dieser Medikamente angeht ist es hingegen zu früh, um irgendwelche sicheren Schlussfolgerunen zu ziehen.
Die Studienlage ist begrenzt und es werden weitere Untersuchungen benötigt – insbesondere mit gut trainierten Kraftsportlern – um zu verstehen, wie diese Medikamente die Muskelhypertrophie auf lange Sicht beeinflussen. Weiterführende Informationen können Sie in einem aktuellen Review finden, das im Journal Sports Medicine veröffentlicht wurde (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23013520).
In der Zwischenzeit scheint es weise zu sein, eine regelmäßige Verwendung von nichtsteroidalen Entzündungshemmern zur Behandlung von Muskelschmerzen und/oder für eine Steigerung der Leistungsfähigkeit, zu meiden. Abgesehen von einer isolierten Studie, die positive Auswirkungen bei älteren Menschen zeigte, werden die Auswirkungen von nichtsteroidalen Entzündungshemmern auf Muskeladaptionen an das Training bestenfalls neutral ausfallen.
Darüber hinaus legen die Daten bezüglich der Satellitenzellen nahe, dass sich nichtsteroidale Entzündungshemmer negativ auf die langfristigen Muskelzuwächse auswirken könnten. Dies ist besonders für diejenigen mit umfangreicher Trainingserfahrung ein Grund zur Sorge, da eine Unfähigkeit die Anzahl der Zellkerne in den Muskeln zu erhöhen einen limitierenden Faktor bei einer Maximierung der Muskelentwicklung darstellen könnte.
Und dann sind da noch die Nebenwirkungen. Eine kontinuierliche Einnahme nichtsteroidaler Entzündungshemmer wird bei einem großen Teil der Bevölkerung mit Magenbeschwerden in Verbindung gebracht. Andere potentiell gefährlichere Konsequenzen, die weniger häufig vorkommen, umfassen blutende Magengeschwüre, Herz-Kreislauf Komplikationen und sogar Leber- und Nierenversagen. Kein gutes Risiko/Nutzen Verhältnis, um es gelinde auszudrücken.
Interessanterweise könnte Curcumin eine sicherere Alternative für nichtsteroidale Entzündungshemmer darstellen. Curcumin, welches sich für gewöhnlich als frei von Nebenwirkungen herausstellt, besitzt ähnliche Wirkmechanismen, um Schmerzen zu lindern. Wenn Sie einen Schub brauchen, um durch einen Muskelkater hindurch zu trainieren, dann wäre dies ein besserer Weg.
Als abschließende Bemerkung sollte erwähnt werden, dass es fraglich ist, ob nichtsteroidale Entzündungshemmer wirklich dabei helfen, empfundene Schmerzen zu reduzieren und die Wiederherstellung der Muskelfunktion fördern. Die Mehrzahl der Studien scheint darauf hin zu deuten, dass ihre Verwendung keine bessere therapeutische Wirkung als ein Placebo aufweist (7).
Es könnte gut sein, dass die primären schmerzlindernden Vorzüge dieser Medikamente zu einem großen Teil psychologischer Natur sind. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, stellt sich die Frage, ob nichtsteroidale Entzündungshemmer im Licht all ihrer möglichen negativen Auswirkungen überhaupt das Risiko wert sind.
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Von Brad Schoenfeld, PhD | 11/13/12
Quelle: https://www.t-nation.com/training/do-pain-pills-impair-muscle-growth