Eine Frage der Kraft
F: Ich habe Waden, die wie die Waden von Tara Lipinski aussehen. Soll ich mit hohen oder niedrigen Wiederholungszahlen arbeiten? Wadenheben stehend oder Wadenheben sitzend? Soll ich mir eine Kugel in den Kopf jagen oder lieber eine gute Dosis Anthrax nehmen?
A: Das Training der Waden erfordert all den Gehirnschmalz, den Du aufbringen kannst. Waden sind aus physiologischer Sicht problematisch. Eine Menge Trainierende sind mit ihren Waden unzufrieden, weil die Lastparameter für die Entwicklung der Unterschenkel sehr viel eingeschränkter als - sagen wir beim Armtraining sind. Im Gegensatz zu etwas wie Deinem Bizepstraining ist Dein Wadenrepertoire begrenzt. Um dies auszugleichen musst Du sehr viel sorgsamer sein, wenn es darum geht, Deine Wiederholungen, Sätze und Pausenintervalle zu manipulieren, um Dein Wadentraining abwechslungsreicher zu gestalten.
Ein weiteres Problem ist der begrenzte Bewegungsraum bei Wadenübungen. Sagen wir, dass Du Kniebeugen ausführst. Der Bewegungsraum bei Kniebeugen ist groß und es ist leicht, das Tempo zu variieren. Du kannst Dir z.B. 3, 4, 5 oder mehr Sekunden Zeit lassen, um den exzentrischen Teil der Bewegung auszuführen. Bei Wadenübungen hast Du jedoch einen begrenzten Bewegungsraum und kannst das Tempo nicht so leicht wie bei Kniebeugen oder anderen Übungen variieren. Während der Olympischen Spiele in Nagano diskutierten einige meiner Sportler unterschiedlicher Disziplinen im Bus über den Wert der Wadentrainingsprogramme, die ich ihnen gegeben hatte, wobei es insbesondere um das Programm ging, das ich für Luke Saunder, einem meiner Alpinen Skiläufer erstellt hatte. Einer der Skiläufer erinnerte sich daran, wie Luke mit einem völlig neuen Paar Waden ins Trainingscamp gekommen war und der Repräsentant der Skifirma ausgeflippt war, da er ihm ein neues Paar Skistiefel anpassen musste. Ich erinnere mich daran, dass Luke ein Wadentrainingsprogramm wollte, da muskulöse Waden beim Alpinen Skilaufen Knieverletzungen verhindern können (sie stellen eine Art Polsterung dar, die verhindert, dass die Knie des Skifahrers beim Bergabfahren einen zu hohen seitlichen Winkel bilden).
Als ich nach Hause kam, suchte ich das Programm heraus, das ich Luke gegeben hatte. Es ist ein Programm, das jedem gute Dienste erweisen würde. Hier ist es:
Tag 1: Hohes Volumen
Übung A: Waden Supersatz*
A1) Wadenheben sitzend
- 3 x 10-5-5 (Ein Satz a 10 Wiederholungen, gefolgt von zwei Sätzen a 5 Wiederholungen) mit einem 101 Tempo (1 Sekunde zum Absenken des Gewichts, keine Pause und 1 Sekunde zum Anheben des Gewichts)
A2) Donkey Wadenheben
- 3 x 30-50 mit einem 101 Tempo
* Nach der Ausführung eines Satzes von Übung A1 gehst Du direkt zur Ausführung eines Satzes von Übung A2 über. Pausiere danach für zwei Minuten, bevor Du den nächsten Supersatz ausführst.
Übung B: Wadenheben stehend
B1) Wadenheben stehend
- 10 x 10-30 mit einem 111 Tempo, 10 Sekunden **
**Mit anderen Worten ausgedrückt wirst Du einen langen erweiterten Satz ausführen, bei dem Du zwischen jedem Minisatz 10 Sekunden pausierst, wobei Du das Gewicht zwischen den Sätzen absenkst.
Nach Tag eins wirst Du wahrscheinlich ein so starkes Brennen in Deinen Waden verspüren, dass Du am liebsten die Feuerwehr rufen würdest. Es könnte weiterhin gut sein, dass Dein Gang an den Gang des 80 Jahre alten Vaters von Homer Simpson erinnert.
Tag2: Niedriges Volumen (sollte 48 Stunden nach Tag 1 ausgeführt werden)
Übung A: Wadenheben stehend, zweifach absteigender Satz
A1) Wadenheben stehend, zweifach absteigender Satz
- 3 x 10-10-10 (mit anderen Worten, zwei absteigende Sätze) mit einem 121 Tempo,*** und 90 Sekunden Pause zwischen den Sätzen.
*** Die Pause wird in der untersten gestreckten Position eingelegt und Du solltest sicherstellen, volle 2 Sekunden zu pausieren.
Dieses Programm sollte Dir irrsinnige Zuwächse an Muskelmasse bescheren. Wie Du siehst, wirst Du eine große Anzahl an Gesamtwiederholungen ausführen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Du eine ausreichende Trainingsfrequenz und ein ausreichendes Volumen brauchst, aber dass Du nicht gleichzeitig ein hohes Volumen und eine hohe Frequenz verwenden kannst. Deshalb empfehle ich, die Waden zweimal innerhalb eines 5 Tage Zyklus zu trainieren: mit einer Trainingseinheit mit vielen Sätzen (16) und vielen Gesamtwiederholungen (250 bis 510), sowie einer Trainingseinheit mit wenigen Sätzen (3) und einer niedrigen Menge an Gesamtwiederholungen (90). Ich kenne Menschen, die mit diesem Programm 1,5 bis 2,5 Zentimeter Wadenumfang innerhalb von lediglich 30 Tagen aufgebaut haben.
F: Wenn ich Bankdrücken ausführe, schmerzen meine Schultern wie verrückt. Sollte ich um den Schmerz herum trainieren, oder stattdessen lieber mit Briefmarkensammeln als neues Hobby beginnen?
A: Mit großer Wahrscheinlichkeit ist eines der folgenden drei Schulterprobleme für Deinen Schmerzen verantwortlich:
Ein Muskelungleichgewicht:
Wenn das Kraftverhältnis zwischen zwei Muskelgruppen unausgewogen ist, kann es zu einer falschen Ausrichtung kommen. Wenn z.B. die Kraft Deiner Brustmuskeln proportional gesehen sehr viel höher als die der externen Rotatoren des Oberarmknochens (Teres minor Und Infraspinatus) ausfällt, dann wirst Du wahrscheinlich eine scharfen Schmerz im oberen, vorderen Bereichs des Oberarmes spüren (dieses Problem wird häufig fälschlicherweise als Entzündung der Bizepssehne diagnostiziert). Es gibt eine Menge anderer Beispiele verschobener Muskelkraftverhältnisse, doch all diese an dieser Stelle zu erklären, würde den Umfang dieser Kolumne sprengen.
Eine Entwicklung von Adhäsionen:
Eine der unerwünschten Nebenwirkungen eines jahrelangen Trainings mit Gewichten, ist eine Entwicklung von Adhäsionen im Weichgewebe und anderen Körperstrukturen. Adhäsionen sind ein Ergebnis der verwendeten Last und dem Gesamtvolumen der Wiederholungen. Mit anderen Worten ausgedrückt, bedeutet dies, dass Du umso mehr Adhäsionen entwickeln wirst, je mehr Sätze und Wiederholungen Du ausführst und je stärker Du wirst. Dieser Aufbau von Bindegewebe kann innerhalb eines Muskels, zwischen Muskelgruppen oder zwischen Nerv und Muskel zustande kommen. Adhäsionen können in jeder Muskelstruktur auftreten, aber der Bereich, der am häufigsten für Schulterschmerzen beim Bankdrücken verantwortlich ist, ist der Subscapularis Muskel. Die gute Nachricht ist, dass man diese Adhäsionen mit Weichgewebe Behandlungstechniken, die als Active Release Techniques® bekannt sind, schnell finden und beheben kann.
Ein Mangel an Beweglichkeit:
Wenn Du Deine Muskeln nicht regelmäßig dehnst, kann dies das Auftreten von Verletzungen begünstigen. Du musst jetzt nicht zum Yoga Großmeister werden, aber regelmäßige Dehnübungen für den Schultergürtel vor Deinen Oberkörpertrainingseinheiten werden Wunder bewirken, wenn es darum geht, Deine Schultern gesund und funktional zu erhalten.
Ein Beispiel aus dem echten Leben
Vor einiger Zeit rief mich ein guter Freund und IFBB Profi an und erzählte mir, dass er nächste Woche eine athroskopische Operation seiner Schulter haben würde. Er war aufgeregt, da diese Operation teuer werden würde und er danach eine lange Reha-Phase durchlaufen müsste, die ihn davon abhalten würde, an Wettkämpfen teilzunehmen und so seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich sagte ihm, dass er vor einer solchen Operation auf jeden Fall einen Active Release Techniques® (ART) Spezialisten konsultieren sollte. (Die ursprüngliche Diagnose war ein Impingement Syndrom und angeblich war eine Operation, bei der ein Teil des Knochens an der Schulter entfernt werden sollte, um Raum für den Muskel zu schaffen, die einzige Option).
Als dieser IFBB Profi in die Praxis kam, hatte er aufgrund seiner höllischen Schmerzen 4 Monate lang nicht trainiert, da ihm selbst das Absenken einer leeren Olympiahantelstange (20 Kilo) unerträgliche Schmerzen bereitete. Nach 45 Minuten der Behandlung schickte ihn der ART Spezialist ins Fitnessstudio, um ein Schultertraining durchzuführen. Ich hatte die Gelegenheit ihn zu begleiten und konnte es kaum glauben zu sehen, wie er 5 Wiederholungen Bankdrücken mit fast 150 Kilo absolvierte. Fünf Tage später konnte er bereits 6 Wiederholungen mit diesem Gewicht völlig schmerzfrei ausführen. Etwa einen Monat später war er bereits wieder fast in Wettkampfform und trainierte für die nächsten Wettkämpfe.
Der wichtigste Punkt ist zu erkennen, dass Du nicht leiden oder mit dem Training aufhören musst, nur weil Du Schulterschmerzen hast. Abhängig vom individuellen Problem solltest Du Dir einen erfahrenen Trainer suchen, der Dir dabei hilft ein geeignetes Trainingsprogramm zusammenzustellen oder Dich von einem erfahrenen Therapeuten behandeln lassen.
F: Jedes Mal, wenn ich ins Fitnessstudio gehe, sehe ich einen Typen, der Drehungen des Oberkörpers mit einem Besenstil auf den Schultern ausführt. Trainieren diese Jungs wirklich ihre externen Obliques (externe schräge Bauchmuskeln) und machen hierdurch ihre Taille schlanker, oder ist das Ganze nur sinnloses Rumgehampel?
A: Ich sehe hier zwei unterschiedliche Themen: Ein Training der seitlichen Bauchmuskeln und eine Reduzierung des Taillenumfangs. Ein Training der externen schrägen Bauchmuskeln wird keine schlanke Taille sicherstellen. Ganz im Gegenteil, stark entwickelte seitliche Bauchmuskeln werden der V-Form Deines Oberkörpers und dem klassischen Bodybuilding Look abträglich sein. Wenn Du jedoch ein Judoka oder ein Ringer bist und es Dir mehr um die Funktion, als die Anziehungskraft auf die Mädels geht, dann werden Dir stärkere seitliche Bauchmuskeln bei Deinen Würfen und beim Ringen helfen.
Was das Drehen des Oberkörpers mit einem Besenstil angeht, wird dies für Deine seitlichen Bauchmuskeln überhaupt nichts bringen. Warum? Ein Besenstil belastet die seitlichen Bauchmuskeln nur minimal. Da Du nicht gegen die Schwerkraft ankämpfst, setzt Du diese Muskeln keiner Art von Überlastung aus. Ein effektives Training für die schrägen Bauchmuskeln bedarf eine sehr viel schwerere Last, als die, die Du durch einen Besenstil erzeugen kannst. Was eine schlanke Taille angeht, hat diese mehr mit einer Reduzierung des Körperfetts als mit der Wahl irgendeiner Übung, die gezielt auf diesen Bereich abzielt, zu tun. Da so etwas wie ein lokaler Fettabbau bisher weder empirisch, noch im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen nachgewiesen werden konnte, werden alle Bauchmuskelübungen der Welt unabhängig vom Trainingsumfang Dir nicht dabei helfen, gezielt Deine Rettungsringe zu reduzieren. Eine effektive Körperfettreduzierung ist das Resultat einer Kombination aus einer Manipulation der Ernährung, einem optimalen Trainingsvolumen und der richtigen Trainingsintensität.
F: Wie würdest Du mir empfehlen, Power Cleans (Power Umsetzen) – meine Lieblingsübung – in ein Masse/Kraft Trainingsprogramm zu integrieren?
A: Power Cleans sollten immer am Beintag als erste Übung des Programms verwendet werden, da Du bei der Ausführung dieser Übung eine hohe Bewegungsgeschwindigkeit verwendest und das Gewicht maximal beschleunigst. Deshalb sollte diese Übung dann ausgeführt werden, wenn das Nervensystem noch frisch ist. Führe auf jeden Fall mehr als sechs Wiederholungen pro Satz aus und pausiere ausreichend zwischen den Sätzen (3 bis 5 Minuten).
F: Was sind Deine Ansichten zur Theorie des Trainings mit statischen Kontraktionen und wie würde man statische Wiederholungen oder Teilwiederholungen mit extrem schweren Gewichten verwenden? Seit dem frühsten Beginn meiner Karriere als Kraft- & Konditionstrainer glaube ich nach Anwendung der Methoden von Don Ross, Rasch, Bill Starr und Anthony Ditillo fest an die Verwendung eines Power Racks zur Förderung massiver Zuwächse an Kraft und Muskelmasse. Dieses Programm ist am effektivsten. Der durchschnittliche, etwas fortgeschrittene Bodybuilder, kann erwarten, seine persönlichen Bestleistungen bei Curls mit diesem Programm um 5 bis 12 Kilo und bei engem Bankdrücken um 15 bis 20 Kilo zu steigern. Dies ist recht eindrucksvoll, da diese Zuwächse innerhalb eines so kurzen Zeitfensters von lediglich 3 bis 4 Wochen Dauer erzielt werden.
Die physiologische Basis dieses Programms ist das, was die Sportwissenschaftler Fleck & Kraemer und O'Shea als „funktionale isometrische Kontraktionen " (FIC) bezeichnen. Vor über 40 Jahren wurde Spielern des Eisenspiels diese Trainingsmethode unter der Bezeichnung „isometronisches Training vorgestellt, wobei sich dieser Name aus den Begriffen „isometrisch“ und „isotinisch“ zusammensetzt. Deutsche Kraftsportexperten wie Letzelter & Letzelter und Hartmann und Tünnemann bevorzugen den Begriff „autotonisches Training“, um diese Trainingsmethode zu beschreiben. Das Konzept hinter diesem Protokoll besteht in der Verwendung des Besten, was die isometrische Methode zu bieten hat in Kombination mit einem regulären Stil des Trainings. Mit FIC kannst Du die spezifischen Gelenkwinkel Kraftzuwächse eines isometrischen Trainings nutzen, nachdem Du die involvierten Muskeln unter Verwendung schwerer Wiederholungen über einen kurzen Wiederholungsbereich am Power Rack vorermüdet hast.
Dieses System hat – wie jedes andere Trainingssystem auch – seine Vor- und Nachteile:
Vorteile:
- Erlaubt es Dir, das Nervensystem zu “enthemmen”: kann Dir dabei helfen psychologische Barrieren bezüglich bestimmter Gewichte zu überwinden.
- Liefert aufgrund neuer Herausforderungen Abwechslung für Dein Trainingsprogramm.
- Steigert die maximale Kraft in den spezifischen trainierten Bereichen. Diese Art des Training kann gut für einen Powerlifter geeignet sein, der Probleme damit hat, die Position mit überstreckten Armen beim Bankdrücken oder die aufrechte Position beim Kreuzheben zu erreichen.
Nachteile:
- Es ist zeitaufwendig, das Setup vorzubereiten
- Produziert Kraftzuwächse in einem Bereich von plus/minus 15 Grad des Bewegungsbereichs. Mit anderen Worten ausgedrückt wird isometrisches Halten mit einer Beugung des Ellenbogens um 130 Grad Deine Kraft nur im Bereich einer Ellenbogenbeugung zwischen 115 und 145 Grad steigern. Dies bedeutet, dass die ersten 115 Grad der Ellebogenbeugung untrainiert bleiben.
- Entwickelt sich mit bestimmten Übungen leicht zu einer Art Zirkusnummer, was natürlich recht unterhaltsam sein kann. Eines der Bücher zum Thema empfiehlt schweres isometrisches Halten in der obersten Position von Scottcurls. Ich habe einmal einen Jungen beobachtet, der versucht hat, dies mit einem Gewicht auszuprobieren, das schwerer als sein Körpergewicht war. Er machte den Fehler, zu versuchen, das Gewicht zu weit unten im Bewegungsraum zu halten, was dazu führte, dass er über die Scottbank nach vorne purzelte.
Von: by Charles Poliquin
Quelle: https://www.t-nation.com/training/question-of-strength-1 , https://www.t-nation.com/training/question-of-strength-2 , https://www.t-nation.com/training/question-of-strength-3